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13.10.2021

Gebäudemanagement – Spielwiese für EAM

Die Digitalisierung des Gebäude-Managements steht noch ganz am Anfang. Die im CBA Lab organisierten Enterprise-Architekten haben einen ganzheitlichen Ansatz dafür erarbeitet.

Mit Enterprise Architecture Management (EAM) lassen sich digitale Geschäftsprozesse gestalten und effiziente IT-Landschaften aufbauen. Wie das CBA Lab feststellt, kann EAM auch eine Grundlage bilden, um eine digitale Betriebsplattform für einen physischen Gebäudekomplex zu entwickeln. Um ein Gebäude über seinen gesamten Lebenszyklus hinweg verwalten zu können, gelte es EAM mit Product Lifecycle Management (PLM) und Systems Engineering zu kombinieren. Im Ergebnis könnten Gebäude effizienter geplant und erstellt sowie besonders nachhaltig gemanagt werden.

Von der Planung bis zum Abriss

Bisher gibt es keine digitalen Werkzeuge, die das Management eines Gebäudes von der Planung bis zu seinem Abriss durchgängig unterstützen. Dafür bräuchte es einen digitalen Zwilling, der das gesamte Ökosystem abbilden kann. Zu diesem Ökosystem Gebäude gehören nicht nur „tote“ Dinge, sondern auch alle Menschen, die damit zu tun haben. Eigentümer, Handwerker, Versicherungen, Mieter – alle haben unterschiedlichen Informationsbedarf und wollen sich im oder mit dem Gebäude geschäftlich betätigen. Mit einem informationszentrischen Ansatz, etwa über einen digitalen Zwilling, lässt sich das geschäftliche Miteinander neu und besser gestalten als bisher.

Dass ein Gebäude mit seinem 40 bis 100 Jahre langen Lebenszyklus mit einer digitalen Betriebsplattform wirtschaftlicher und nachhaltiger (etwa im Energieverbrauch) betrieben werden kann, muss nicht mehr bewiesen werden. So verbraucht das smarte Bürogebäude „Edge“ https://edge.tech/de/developments/the-edge in Amsterdam dank der 28.000 verbauten Sensoren und des Building Management Systems rund 70 Prozent weniger Energie als ein konventionelles Bürogebäude. Wenn man bedenkt, dass allein Heizung und Warmwasser die Hälfte der Betriebskosten eines Gebäudes verschlingen, ist leicht vorstellbar, was sich allein durch eine smarte Steuerung des Energieverbrauchs erreichen ließe.

Doch eine digitale Betriebsplattform steuert mehr als den Energieverbrauch. Sie hilft, das Facility Management zu digitalisieren und unterstützt bis hin zu Abrechnungen und Reparaturen. Anders als ein sogenanntes Building Management System setzt eine digitale Betriebsplattform bereits an der Planung eines Gebäudes an.

Deshalb braucht es zwei Versionen eines digitalen Gebäudezwillings. Die erste spiegelt Analyseergebnisse sowie Planungs- und sonstige Daten des virtuellen Gebäudemodells. Der spätere „Real Building Twin“ nutzt dann die Konstruktionsdaten des physischen Gebäudes sowie Sensor-, Leistungs- und Zugangsdaten und Wartungsinformationen.

Digital Twin und Digital Thread = digitale Betriebsplattform

Ein zweites Element der digitalen Betriebsplattform neben dem Digital Twin ist der Digital Thread. Dabei handelt es sich um eine Art digitalen roten Faden, mit dem der bisherige Lebenszyklus eines Gebäudes zurückverfolgt werden kann. Beispielsweise lassen sich damit der Energieverbrauch und die dafür verantwortlichen Faktoren an einem zurückliegenden Tag verstehen. Der Digital Thread kann dabei nicht nur anzeigen, wie sich das Gebäude in der Vergangenheit verhalten hat, sondern auf Basis historischer Daten auch einen Blick in die Zukunft simulieren. Beispielsweise lässt sich feststellen, wie viel stärker Aufzüge belastet würden, wenn durch einen Mieterwechsel die Zahl der Besucher um 20 Prozent stiegen. Das wirkt sich auf die Wartungsintervalle und die Kosten aus.

Modellierungsstandards kombinieren

Um eine solche digitale Betriebsplattform zu konzeptionieren und zu realisieren, müssen verschiedene Modellierungsstandards kombiniert werden. Das CBA Lab demonstriert, wie ein solches Digital Real Estate Life Cycle Management mit Hilfe von EAM auf Basis des Architektur-Frameworks TOGAF mit den Artefakten aus Modell-basiertem Systems-Engineering (MBSE) funktionieren kann. Das Ziel dabei ist nicht nur eine digitale Betriebsplattform für ein oder mehrere Gebäude, sondern auch eine Antwort auf die Frage, wie unabhängige Teilsysteme als komplexes System oder als Systemverbund (System of Systems) digital gemanagt werden können.

Ganzheitlicher PLM-Ansatz fehlt

Darüber hinaus war auch das Fehlen eines ganzheitlichen systemischen PLM-Ansatzes ein Motiv, dieses Thema aufzugreifen. Product Lifecycle Management existiert in erster Linie im Maschinen- und Anlagenbau und reicht meist nur bis zur Inbetriebnahme. Im Immobilienbereich existiert der Ansatz so gut wie gar nicht.

Hier herrscht das Konzept Building Information Modeling (BIM) vor, das aber meist nicht lückenlos funktioniert und sich noch immer nicht flächendeckend durchgesetzt hat. BIM wird zudem häufig nur bis zur Fertigstellung eines Gebäudes stringent genutzt. Auf mehrere Gebäude, zum Beispiel einen Industriepark oder ein Gewerbegebiet, wird es nicht angewendet.

Das Fehlen eines ganzheitlichen Ansatzes führt im Immobiliensektor dazu, dass:

  • Schnittstellen und Standards fehlen,
  • Märkte fragmentiert sind,
  • unterschiedliche Gewerke ineffizient zusammenarbeiten,
  • schnelle Anpassungen an neue Nutzergruppen mit anderen Bedarfen kaum möglich sind.

Diese Schwächen will das CBA Lab angehen, in dem es mit bewährten und neuen Methoden genau eruiert, welche Fähigkeiten benötigt werden, um einen ganzheitlichen PLM-Ansatz auch für Gebäude entwickeln und nutzen zu können. Das CBA Lab setzt dabei auf EAM mit TOGAF und nutzt das aus dem militärischen Bereich stammende Capability Based Planning sowie MBSE (Modelle, Demonstratoren). Ansätze aus dem Semantic Web sollen eine gemeinsame Sprache zwischen den verschiedenen Disziplinen schaffen. Digital Twin und Digital Thread sorgen dafür, dass Nutzer sowohl den laufenden Betrieb digital abbilden als auch Auswirkungen von Veränderungen simulieren können.

ADM als Grundlage der Sprints

Das CBA Lab hat das Konzept einer solchen digitalen Betriebsplattform, die man sich als eine Kombination aus Digital Twin und Digital Thread vorstellen kann, in vier Sprints innerhalb von 50 Kalendertagen bewältigt, obwohl TOGAF traditionell nicht als sonderlich agil gilt. Den Aufgaben in den verschiedenen Sprints lag dabei die aus TOGAF bekannte Architecture Development Method zugrunde.

Im ersten Sprint, der die Überschrift „Vision“ trägt, eruierten die Teilnehmer mithilfe virtueller Design-Thinking-Workshops, welche Bedarfe und User-Stories berücksichtigt werden sollten, wenn es um das Gebäudemanagement geht. Insgesamt wurden sieben Use Cases entwickelt. Hier beispielhaft drei davon:

  • Erhebung von IoT- und IT-Daten aus unterschiedlichen Verantwortungsbereichen für die Informationstechnik mit ihren Monitoring- und Steuerungsaufgaben;
  • Optimierung des Raumklimas für alle Menschen im Gebäude aus Sicht des Facility-Management;
  • Ein einheitlicher und optimaler Informationsstand für alle Stakeholder, damit Entscheidungen automatisiert oder von Menschen faktenbasiert getroffen und umgesetzt werden können.

MBSE kann besser Hardware

Im zweiten Sprint „Detailing“ wurde mit Hilfe von MBSE das Requirements Management und das Capability based Planning absolviert, um die Anforderungen genauer zu spezifizieren. Die Teilnehmer der Arbeitsgruppe haben auf die Methodik des Systems Engineering zurückgegriffen, um die komplexen technischen Systeme in einem Gebäude besser beschreiben zu können.

Der Vorteil von MBSE liegt unter anderem darin, dass die Informationen eines Systems nicht mehr ausschließlich auf Dokumenten, sondern auch auf Modellen basieren, die dann eben auch Hard- und Software sowie zum Beispiel die Elektrik beschreiben. „Das gibt den Blick frei auf die Zusammenhänge zwischen den Teilsystemen“, sagt Uwe-Weber, Managing Partner bei Detecon und im CBA Lab verantwortlich für den Workstream „Digital Real Estate Lifecycle Management“. Außerdem sei System Engineering stärker auf physische Systeme ausgerichtet als EAM, das sich in erster Linie mit Software befasse.

Insgesamt wurden 200 Anforderungen formuliert. Um nicht den Überblick zu verlieren, setzt das CBA Lab die Modellierungslösung „CATIA NO MAGIC“ von Dassault Systems ein. Damit lassen sich die Auswirkungen bestimmter Anforderungen über die verschiedenen Teilsysteme eines Gebäudes nachvollziehen. Soll zum Beispiel die Nutzung eines Raums spontan von Büro in Besprechungsraum geändert werden, lassen sich mit der Software die Auswirkungen auf Teilsysteme wie Elektrik, IT, Klimaanlage und die von ihnen abhängigen Elemente wie Sensoren, Bildschirme, Thermostate etc. nachvollziehen.

In diesem Sprint wurde auch geklärt, welche grundsätzlichen Fähigkeiten der digitale Zwilling abbilden sollte, um die oben bereits beschriebene Funktionalität zu erreichen. Dazu griff man auf die Referenzarchitektur für einen digitalen Zwilling zurück, der in einem früheren Workstream des CBA Lab entwickelt worden ist.

EAM gehört weder zum Fachbereich noch zur IT. Wir bringen alle Bereiche mit ihren unterschiedlichen Zielsetzungen zusammen. Dadurch verbessert sich das Ergebnis und letztendlich auch der geschäftliche Erfolg.
Uwe Weber
Workstreamleiter und Botschafter des CBA Lab

Im dritten Sprint stand die Machbarkeitsanalyse im Mittelpunkt, die Frage also, wie könnte das Ganze aufgebaut sein? Die Teilnehmer entwickelten mithilfe einer MBSE-Simulation, eines Raspberry PI und verschiedener Sensoren (Temperatur, Feuchtigkeit) sowie mehrerer LEDs die Architektur eines Demonstrators, der die Funktionsweise des digitalen Zwillings simulieren sollte.

Im vierten Sprint wurde dieser Demonstrator dann aufgebaut und implementiert. Er demonstriert vereinfacht, wie sich ein optimale Raumklima herstellen lässt und zeigt die Anforderungen und Abhängigkeiten von anderen Teilsystemen – zum Beispiel den Einfluss eines geöffneten Fensters auf Luftfeuchtigkeit und Temperatur sowie die Auswirkungen auf die Klimatisierung des Raums. „Unser Demonstrator bewegt sich immer noch auf der Ebene des Anforderungsmanagements. Er erlaubt uns aber, die Anforderungen auf der Gesamtebene und im Detail besser zu erkennen und zu spezifizieren“, erklärt Weber.

Insgesamt zeigt der erste Durchlauf durch die ADM , dass sämtliche unterschiedlichen Anforderungen berücksichtigt wurden und in eine schlankes, effizientes Portfolio von Maßnahmen überführt werden konnten. Das heißt die Planung ist jetzt stabiler als ohne, es wurden keine Anforderungen vergessen und auch an der richtigen Stelle im Bauprojekt ihre Auswirkungen identifziert. Es wird keine Überraschungen mehr geben, wie das „digitale Gewerk“ sich auf die traditionellen Gewerke inkl. TGA auswirkt. Auch die traditionelle Planung wird besser, da durch die Modellsicht die Zusammenhänge transparenter sind und Abhängigkeiten explizit geplant werden können. Das wirkt sich wirtschaftlich z.B. durch präzisere Kosten- und Preismodelle aus, weniger Verzögerung und höhere Umsetzungsqualität.

Fazit: Mit MBSE wird Planen und Steuern einfacher und die Qualität der Planung wird steigt. EAM/TOGAF zielt auf mehr Stabilität und ermöglicht gleichzeitig einfach anpassbare Planung.

„Mit dem Experiment, verschiedene Methoden und Ansätze aus unterschiedlichen Disziplinen für EAM nutzbar zu machen, vervielfachen wir die Vorteile“, sagt der Leiter des Workstreams. „Wir können damit auch physische Systeme beschreiben und transparent machen. So schaffen wir die Grundlage für neue digitale Geschäftsmodelle.“ Und dann fügt der Botschafter des CBA Lab noch hinzu: „EAM gehört weder zum Fachbereich noch zur IT. Wir bringen alle Bereiche mit ihren unterschiedlichen Zielsetzungen zusammen. Dadurch verbessert sich das Ergebnis und letztendlich auch der geschäftliche Erfolg.“

Detaillierte Arbeitsergebnisse stehen exklusiv den Mitgliedern des CBA Lab zur Verfügung.

Dieser Artikel erschien in ähnlicher Form in der Computerwoche online.