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28.08.2020

Standards für den Digital Twin

Das Konzept des digitalen Zwillings hat enormes Potenzial. Um es zu heben, haben die Unternehmen allerdings noch einige Hürden zu nehmen. Fehlende Standards sind das größte Problem, doch jetzt zeichnet sich eine Lösung ab.

Die Mitglieder des CBA Lab haben eine industrieübergreifend einsetzbare Referenzarchitektur erarbeitet, auf deren Basis Unternehmen Digital Twins entwickeln können. Britta Boldt, Enterprise-Architektin in der Volkswagen-Konzernlogistik und Mitarbeiterin in der entsprechenden Arbeitsgruppe, ist sich sicher: „Bei uns werden wir diese Referenzarchitektur einsetzen.“

Das CBA Lab hatte im Herbst 2019 gemeinsam mit dem Beratungsunternehmen Detecon 170 Unternehmen aus zehn Branchen zu ihren Plänen bezüglich der Entwicklung von digitalen Zwillingen befragt. Es zeigte sich, dass fehlende Standards als das größte Hindernis wahrgenommen wurden. Nur das mangelnde Umsetzungs-Know-how im eigenen Unternehmen gilt als ähnlich große Herausforderung. Weitere Hemmnisse sind das Fehlen geeigneter Geschäftsmodelle, eine unzureichende IT-Infrastruktur und ein Zuviel an ausgelagerten IT-Ressourcen. Die Datensicherheit beschäftigt die Befragten in diesem Zusammenhang ebenfalls, wird aber mehrheitlich als beherrschbar gesehen (siehe Grafik 1).

Mit der gemeinsamen Arbeit an der Referenzarchitektur adressiert das CBA Lab also gleich zwei Herausforderungen: Standardisierung und Know-how-Aufbau bei den Beteiligten.

Referenzarchitektur auch im Partner-Ökosystem verwendbar

Die vom CBA Lab entwickelte Referenzarchitektur (siehe Grafik 2) umfasst die drei Säulen Physical, Integration und Model Level sowie gesondert den vierten Level „Overall Capabilities“. Letzterer umfasst Fähigkeiten im Bereich Life Cycle Management, Mobile Device Management, Machine- und Deep Learning sowie Big Data sowie weitere übergreifende Funktionen. Die Overall Capabilities stehen der gesamten IT eines Unternehmens zur Verfügung, nicht nur dem digitalen Zwilling.

Quer zu den vertikalen Ebenen liegen zuunterst der physikalische Layer, darüber der Application- und Daten-Layer und darüber schließlich der Capabilities-Layer. Ein vierter Layer, der 3rd Party Ecosystem Tier, sorgt über die verschiedenen Ebenen hinweg für Security und das API-Management.

„Die besondere Qualität der Referenzarchitektur liegt darin, dass sie nicht nur im eigenen Unternehmen zur Entwicklung von Digital Twins und zum Vergleich von Lösungskomponenten unterschiedlicher Anbieter verwendet werden kann, sondern auch die Basis für die Zusammenarbeit im Partner-Ökosystem bildet“, sagt Verena Schmidtmann, verantwortlich für die Arbeitsgruppe Digital Twin im CBA Lab und Partnerin bei Detecon.

Kaufe ein Unternehmen beispielsweise für eine Produktionslinie eine Maschine, so werde diese heute in der Regel mit einem digitalen Pendant ausgeliefert und müsse in die vorhandene Digital Twin-Landschaft integriert werden. Dafür könne die Referenzarchitektur als neutraler Abstimmungsrahmen dienen, der die Integration digitaler Zwillinge in ihre Umgebung erleichtere.

Schmidtmann räumt ein: „Die Ergebnisse des Workstreams lösen nicht alle Integrationsaufgaben. Vor allem in der Semantik fehlen noch Puzzleteile, die von den verschiedenen Standardisierungsgremien bereitgestellt werden müssen.“ Aus ihrer Sicht ist aber klar, dass die Enterprise-Architekten die strukturgebende Instanz für diese Integrationsaufgaben sein werden.

Demonstrator macht Auswirkungen greifbar

Um nicht zu abstrakt zu werden, haben die Architekten auch einen „Demonstrator“ entwickelt, der ihnen hilft, die Referenzarchitektur auf ihre Stärken und Schwächen hin zu untersuchen und die Prinzipien auch Laien zu veranschaulichen. Umgesetzt wurde das Demonstrationsobjekt mithilfe von zwei Raspberry-PI-Rechnern und der IoT-Cloud von Bosch. Es zeigt, wie der digitale Zwilling eines in einem elektrisch angetriebenen Campingbus verbauten Kühlschranks das Energiemanagement des Gesamtsystems verbessert.

Ein Dashboard erlaubt es zudem, die Regelkreise und Aktoren abzulesen und zu steuern. „Wir können damit aus der Abstraktion herauskommen und den digitalen Zwilling mit seinen Auswirkungen haptisch wahrnehmbar machen“, nennt Britta Boldt die Vorteile dieses Vorgehens. Die Referenzarchitektur mache den Digital Twin branchenübergreifend einsetzbar, was die interdisziplinäre Zusammenarbeit im CAB Lab beweise, und der Demonstrator lasse die Vorteile für jeden sichtbar werden. 

26 Prozent kennen das Konzept des digitalen Zwillings nicht

Tatsächlich tun sich noch viele Unternehmen mit dem Einsatz eines Digital Twin schwer. Die bereits erwähnte Studie zeigt, dass 64 Prozent der Befragten das Konzept mehr oder weniger gut kennen, 26 Prozent aber noch keine Berührung damit hatten. Nur 36 Prozent der deutschen Unternehmen und Organisationen haben erste Konzepte entwickelt.

Pilotprojekte wollen 50 Prozent in den nächsten zwölf Monaten starten. Die Hälfte der Befragten rechnet damit, dass die Piloten erst in den kommenden drei Jahren in den laufenden Betrieb integriert sein werden. Die Untersuchung zeigt aber auch, dass sich der Einsatz in allen Kategorien über die nächsten fünf Jahre verdoppeln dürfte.

Am häufigsten wird der Digital Twin in der Produktentwicklung und Konstruktion eingesetzt, am wenigsten in der Produktkonzeption. Der größte Nutzen wird in der Effizienzsteigerung gesehen, gefolgt von einer besseren Befriedigung der Kundenbedürfnisse und der Entwicklung neuer Produkte. Die meisten Befragten sehen den digitalen Zwilling insgesamt als große Chance für ihr Unternehmen und nur eine deutliche Minderheit von 13 Prozent sieht ihn als Gefahr.

„Die Studienergebnisse belegen den hohen Wert der cross-industriellen Zusammenarbeit im CBA Lab. Das gemeinsame Interesse und der Austausch zu den einzelnen Piloterfahrungen führen spürbar zu dem, was heute das Wertvollste ist im Bereich Innovation: Speed“, meint Karsten Schweichhart, Vorstandsmitglied des CBA Lab.

Download Studie

https://cba-lab.de/custom/attachments/1000366/cba_lab_studie_digitaler_zwilling.pdf 

Detaillierte Arbeitsergebnisse stehen exklusiv den Mitgliedern des CBA Lab zur Verfügung. 

Dieser Artikel erschien in ähnlicher Form in der Computerwoche, Ausgabe 17-18/20.

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Grafik 1: Herausforderungen
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Grafik 2: Die vom CBA Lab entwickelte Referenzarchitektur
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Dr. Verena Schmidtmann, Workstreamleiterin

Die besondere Qualität der Referenzarchitektur liegt darin, dass sie nicht nur im eigenen Unternehmen zur Entwicklung von Digital Twins und zum Vergleich von Lösungskomponenten unterschiedlicher Anbieter verwendet werden kann, sondern auch die Basis für die Zusammenarbeit im Partner-Ökosystem bildet.