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04.09.2020

Next-Level-Bebauungsplan: Dynamisches Werkzeug für die Unternehmen der Zukunft

In der Digitalen Transformation spielt die Enterprise Architecture eine deutlich stärkere Rolle als Innovationsbegleiter und Ratgeber. Um dieser neuen Rolle gerecht zu werden, braucht sie neue Instrumente. Der vom CBA Lab vorgestellte Next-Level-Bebauungsplan ist ein solches integriertes, dynamisches und kollaboratives Instrument, das sich Stakeholdern im Business genauso anbietet wie in der IT. Er stellt ein konzeptionelles Abbild des Unternehmenskontextes dar, beinhaltet also deutlich mehr als die IT-Bestandteile. Er beschreibt die essenziellen Zusammenhänge zwischen Business, Organisation, IT und Daten als Grundlage für Veränderungen.  

 

Plan mit verschiedenen Nutzungsebenen

„Im Next-Level-Bebauungsplan geht es darum, allen beteiligten Stakeholdern – zum Beispiel dem CIO, der CEO oder der Portfolio-Managerin – eine gemeinsame Wissens-, Informations- und Gestaltungsplattform anzubieten, die ihre jeweilige Perspektive widerspiegelt und die sie verstehen können“, erklärt Joachim Schmider, Leiter des Workstreams Next-Level-Bebauungsplan im CBA Lab und Head of Enterprise Architecture beim Automobilzulieferkonzern Schaeffler AG. Um zu verdeutlichen, was er meint, benutzt Schmider als Analogie die Architekturzeichnung eines Wohnhauses: Der Maurer schaut auf den Plan, um zu wissen, welche Mauern er wo setzen muss, der Elektriker will wissen, wo die Leerrohre für die Kabel verlaufen und der Bauherr schaut auf den Plan, um festzulegen, welche Räume er wie am besten nutzen kann. „Aber alle schauen auf den gleichen Plan, beziehungsweise auf einen bestimmten Ausschnitt des gleichen Plans“, betont Schmider.

So genutzt ist ein Bebauungsplan nichts Isoliertes und nichts Statisches mehr. Wenn die verschiedenen Stakeholder aus Business und IT ihre Expertise einbringen, wird er kollaborativ und dynamisch. Das heißt, er kann verschiedene Mehrwerte für unterschiedliche Stakeholder liefern und Beiträge leisten zu:

  • Management von Komplexität – indem er die verschiedenen Bausteine des „konzeptionellen Abbilds des Unternehmens“ miteinander in Verbindung bringt und somit Wirkweisen und Abhängigkeiten verdeutlicht.
  • Harmonisierung und Optimierung – indem er Abhängigkeiten aufzeigt zwischen Organisation, Prozessen, IT und Daten, die zu faktenbasierten Argumenten und Entscheidungen führen.
  • Agilem Betriebsmodell & Kultur – indem er cross-funktionale Zusammenarbeit fördert und die Kommunikation zwischen Business und IT verbessert, macht er EA zum Bestandteil praktisch jeder Geschäftsdiskussion.
  • Beschleunigung der Digitalen Transformation – indem er Veränderungen und ihre Konsequenzen zeigt, fördert er die Kreation neuer digitaler Fähigkeiten und etabliert daten- bzw. datenmodell-basiertes Denken.
  • Kosten- und Wertoptimierung – indem er die Transparenz und Entwicklungsgeschwindigkeit erhöht, reduziert er prozessuale und technische Schulden sowie Komplexität und erhöht gleichzeitig den erzielten Wertbeitrag.
  • Risikominimierung – indem er eine Faktenbasis über Zusammenhänge und Wirkweisen schafft, hilft er, die richtigen Änderungen zu priorisieren und z. B. Sicherheit und Compliance-Aspekte von der Konzeption her zu denken und frühzeitig zu berücksichtigen. Durch die zusätzliche Transparenz und eine breitere cross-funktionale Nutzung ermöglicht er proaktive Veränderungen für größere Business-Flexibilität.

EA muss weitere Fähigkeiten entwickeln

Voraussetzung, um die genannten Mehrwerte zu heben, ist neben Fortschritten in der Visualisierungstechnologie ein neues übergreifendes EA-Datenmodell, das die Elemente aus der Business-, Daten- und IT Architektur beinhaltet (Strategy & Objectives, Process, Business Objects, IT Applications, Technology etc.) und miteinander in Verbindung setzt. Dabei muss ein solches EA-Datenmodell laut Workstream durch folgende Eigenschaften gekennzeichnet sein:

  • Integriert – Verbindung aller EA-Datenobjekte aus ihren Quellen (PPM, CMDB SAM; ERP…)
  • Datenzentrisch – Business-Daten (Objekte) sind ein zentrales Element des EA-Meta-Modells und die EA-Modelle nutzen verfügbare operative Daten, wo immer es geht.
  • Kontextsensibel – Die Sichten auf den Bebauungsplan sind zielgruppenorientiert und basieren auf den Bedürfnissen der jeweiligen Zielgruppe.
  • Zugänglich – Barrierefreier Zugang zu EA-Informationen für alle interessierten Stakeholder, am besten mittels Self Service. Jeder kann das EA-Wissen konsumieren, aber auch dazu beitragen.
  • Dynamisch – Der Bebauungsplan reflektiert Veränderungen und Abhängigkeiten. Außerdem können zukünftige Zielzustände kontextabhängig simuliert werden.
  • Intelligent – Die Entwicklung des Bebauungsplans wird unterstützt mit Empfehlungen, Voraussagen und kontextabhängigen Sichten, die durch neue IT Capabilities (AI, Graph, Visualisierung etc.) ermöglicht werden.

Um den Next-Level-Bebauungsplan umsetzen zu können, müssen Enterprise Architecture als Ganzes, aber auch das Artefakt Bebauungsplan weitere Fähigkeiten entwickeln. So sollte EA nach Auffassung des Workstreams nicht nur in der operativen IT, sondern auch als strategisches und cross-funktionales Planungs- und Managementwerkzeug genutzt werden. Dazu benötigen Next-Level-Bebauungspläne erweiterte Werkzeuge, die zum Beispiel EA-Daten in Persona-Perspektiven aufbereiten können, operative Daten in die EA-Modelle integrieren, Simulationen erlauben oder durch die Nutzung von AI die EA-Modelle einfacher und automatisierter erweitern.

Schmider räumt ein, dass durchaus noch ein Stück Weg zurückgelegt werden muss, bis Unternehmen die Ideen und Konzepte des „Next-Level-Bebauungsplans“ umgesetzt haben und aktiv nutzen. Der Start ist dabei gemacht und „mit der von uns gelieferten genauen Beschreibung des Ziels, des strategischen Mehrwertes und der dazugehörigen Roadmap sind wir ein großes Stück vorangekommen.“

Was Unternehmen tun können, um das nächste EA-Level zu erreichen

Noch ist der Next-Level-Bebauungsplan Zukunftsmusik, aber Unternehmen können schon jetzt konkrete Schritte gehen, um die Voraussetzungen zu schaffen. Vor allem in den Bereichen Tool und Mindset können konkrete Schritte unternommen werden, um den Reifegrad der Enterprise Architecture und der Gesamtorganisation zu erhöhen. Laut Schmider geht es in beiden Feldern um den besseren Umgang mit Komplexität.

Viele EAM Tools sind in erster Linie darauf ausgerichtet, Transparenz über das Bestehende zu schaffen. Dabei sammeln sie in erster Linie Daten über die IT-Landschaft und beziehen Daten sowie Datenmodelle aus anderen Bereichen eines Unternehmens nicht oder nicht ausreichend mit ein, um Zusammenhänge zu verdeutlichen. Wenn Zusammenhänge nicht erkannt werden, können Systeme in der Regel nicht erfolgreich verändert werden. Deshalb sollten Unternehmen, die sich darauf vorbereiten, EAM als datengetriebene Disziplin und Innovationsbegleiter einsetzen. Dabei hält Schmider es für dringend erforderlich, Einführung und Nutzung der EA Tools mit einer schrittweisen Weiterentwicklung des EA Operating Model zu kombinieren, da dies mit einem fundamentalen Umdenken und steigender Komplexität einher geht. Entsprechende EA Tools können diesen Prozess dabei besser unterstützen, wenn sie komplexe Zusammenhänge erfassen sowie einfach und intuitiv darstellen können. Gute EA Tools sind bereits in der Lage, mehrere Datenmodelle zu kombinieren und intuitiv zu konsumieren. Dabei geht der Innovationstrend klar zur Nutzung graph-basierter semantischer EA-Modelle, die sich beliebig erweitern lassen und in klassische Datenmodelle und Sichten konvertiert werden können. Sie zeigen dem Nutzer die Resultate zum Beispiel als Knowledge-Graphen an, was es sehr viel leichter macht, Zusammenhänge zu erkennen.

Tools sind noch nicht perfekt, aber gut genug für den Anfang

Schmider hält die modernsten Tools, welche sich zum Teil bereits innovativer Analytics und Künstlicher Intelligenz bedienen, noch für keine perfekten Werkzeuge auf dem Weg zum Next-Level-Bebauungsplan. „Aber es gibt keinen Grund, auf das perfekte Tool zu warten. Sie sind gut genug, um anzufangen, vor allem wenn man die entsprechende EA Maturity in den Unternehmen berücksichtigt“, sagt er. Allerdings will sich das CBA Lab nicht mit dem Status Quo zufriedengeben. Es wurde eine neue Arbeitsgruppe formiert, die bestehende Defizite der EAM Tools herausarbeiten und die Anbieter motivieren soll, diese konkret in ihren entsprechenden Innovations- und Entwicklungs-Roadmaps anzugehen.

Der Schaeffler-Architekt verlangt von EAM Tools eine Art von Mehrdimensionalität, die es dem Nutzer einerseits erlaubt, ein bestimmtes Ziel anhand der dafür notwendigen Capabilities, Prozesse, IT-Systeme und Daten zu analysieren und andererseits mit den Beteiligten ein Veränderungsszenario zu entwerfen, das diese Dimensionen berücksichtigt.

Ebenfalls wichtig auf dem Weg zum Next-Level-Bebauungsplan sind laut Schmider Self-Service-Fähigkeiten der Tools. Wenn EAM Tools genutzt werden sollen, um Bausteine und Geschäftsbereiche zu verbessern, dürfen sie nicht mehr ausschließlich von Architekten benutzt werden können. Andere IT- und Business-Stakeholder müssen sie verwenden und ihre Resultate verstehen können.

Unternehmen sollten also bei der Auswahl von Tools darauf achten, dass sie perspektivisch drei Aufgaben erfüllen können:

  • Die Kombination verschiedener Datenmodelle und die verständliche Repräsentation von Zusammenhängen auf verschiedenen Ebenen.
  • Sicherstellen, dass sie genügend unterschiedliche Daten sammeln können, um so überhaupt eine ausreichend breite Datenbasis für Veränderungsentscheidungen zu bekommen.
  • Self-Service-Kapazitäten. Die Tools müssen in Bedienung und Ergebnispräsentation so einfach sein, dass sie auch von Nichtexperten genutzt werden können. Je mehr Mitarbeiter die Informationen nutzen können, desto besser wird die gesamte Organisation.

Komplexität anerkennen und mit Experten zusammenarbeiten

Beim Mindset geht es innerhalb der EA-Disziplin darum, Komplexität anzuerkennen und gleichzeitig die Erkenntnis zu verinnerlichen, dass Architekten im Detail nicht zwangsweise besser Bescheid wissen als die Bereichsexperten, sondern dass sie mit ihnen zusammenarbeiten und ihr Know-how kombinieren müssen. Das gesamte Unternehmen muss lernen, dass EAM keine reine IT-Disziplin ist, sondern Informationen und Komplexität aus verschiedensten Bereichen strukturieren und so helfen kann, Entscheidungsgrundlagen für Veränderungsprozesse zu entwickeln. Dazu ist es wichtig, EAM von einer Push- zu einer Pull-Disziplin zu machen, die von allen Bereichen angefordert wird, wenn es um Veränderungen geht.

Das geht nicht von heute auf morgen. Schmider empfiehlt, dem Top-Management zu helfen, den Wert von EAM zu erkennen, indem auch kurzfristig Value erzeugt wird. „Dann bekommt man auch die Zeit und das Vertrauen, langfristige Ziele wie den Next-Level-Bebauungsplan zu verfolgen.“ Als Beispiel nennt der Enterprise-Architekt die Entwicklung einer integrierten Enterprise-Architektur für ein digital erweitertes Geschäftsmodell, das Schaeffler mit seinen sensorbestückten Lagern verfolgt. Ein anderes Beispiel ist die flexible und modulare Integration zugekaufter Unternehmen oder die entsprechende Abspaltung von Geschäftsbereichen. „Damit kann EAM kurzfristig seinen Wert unter Beweis stellen und bekommt Zeit, ein so langfristiges Ziel wie den Next-Level-Bebauungsplan zu realisieren“, resümiert Schmider.

Detaillierte Arbeitsergebnisse stehen exklusiv den Mitgliedern des CBA Lab zur Verfügung.

Dieser Artikel erschien in ähnlicher Form in der Computerwoche, Ausgabe 23-24/20.

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Bevor Unternehmen einen Next-Level-Bebauungsplan tatsächlich nutzen können, sind noch einige Hausaufgaben zu erledigen. Je dunkelgrauer die „Waben“ eingefärbt sind, desto länger wird die Realisierung der entsprechenden Capabilities benötigen.
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Joachim Schmider, Workstreamleiter

Es geht darum, allen beteiligten Stakeholdern eine gemeinsame Wissens- und Informationsplattform anzubieten, die ihre jeweilige Perspektive widerspiegelt und die sie verstehen können.