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15.03.2019

„Wir stellen keine Stoppschilder mehr auf“

Die Schaeffler Gruppe ist eins der jüngsten Mitglieder im CBA Lab. Der global tätige Automobil- und Industriezulieferer produziert Präzisionskomponenten und Systeme in Motor, Getriebe und Fahrwerk sowie Wälz- und Gleitlagerlösungen für eine Vielzahl von Industrieanwendungen. Die Gruppe wird dabei von rund 1.500 IT-Mitarbeitern unterstützt und betreibt seit Januar 2018 eine eigene 10 Köpfe starke Enterprise Architecture Abteilung. In einem ausführlichen Gespräch erläutert Joachim Schmider, Vice President IT Architecture bei der Schaeffler AG, welche Aufgaben die EA beim Automobil- und Industriezulieferer wahrnimmt, von welchem Selbstverständnis sie sich leiten lässt und was sie von der Mitgliedschaft im CBA Lab erwartet.

Die junge Schaeffler EA-Funktion hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Digitale Transformation bestmöglich zu unterstützen. Dabei legt sie insbesondere Wert darauf, die Künstliche Intelligenz für die Werke und Produkte des Konzerns zugänglich zu machen. EA betrachtet Schmider dabei als agilen Brückenbauer zwischen Technologie, IT und Business Value. Als wichtigste Aufgabe der EA heute bezeichnet er die Übersetzung technischer Möglichkeiten in Business Value: „Wir müssen die Brücke schlagen zwischen Technologie, IT und Business Value. Als Business Enabler müssen wir diese Brücken außerdem schnell und agil bauen. Wir sind Navigator und Lotse in einer schnelllebigen Zeit.“

Wie groß ist die IT bei Schaeffler?

Schmider:Wir beschäftigen rund 960 Mitarbeiter in der Corporate IT, dazu kommen noch einmal etwa 500 IT-Mitarbeiter in weiteren IT-Organisationseinheiten weltweit.

Wie ist bei Schaeffler die IT-Infrastruktur organisiert – in der Cloud oder On-Premises?

Schmider:Wir kommen aus einem klassischen IT-Ansatz mit eigenen Rechenzentren und einem hohen internen IT-Infrastruktur Footprint, welcher sich als Teil unserer aktuellen IT-Transformation massiv wandelt. Hierbei haben wir unter dem Titel „Schaeffler Cloud Plattform“ einen hybriden Cloud-Ansatz aus mehreren Anbietern und mit einem klaren Fokus auf die jeweiligen genutzten Services. Grundsätzlich ist es unsere Strategie, IT-Services bevorzugt mit einem Cloud Ansatz zu beziehen – direkt als SaaS, Paas, Managed Service auf Basis PaaS oder IaaS bis hin zu Custom Cloud Anwendungen basierend auf neuen Microservice-Architekturen. Unser Grundgedanke ist es, Standard-Fähigkeiten eher als Package-Lösung, idealerweise als SaaS, einzukaufen und differenzierende Lösungen ergänzend auf unserer Cloud-Plattform selbst auszuprägen.

Was versprechen Sie sich von der Mitgliedschaft im Cross-Business-Architecture Lab?

Schmider:Wir wollen gemeinsam mit den Experten der anderen Unternehmen neue Ansätze zu aktuellen Themen und Herausforderungen erarbeiten, unsere Erfahrungen teilen, aber auch einen Einblick in ganz neue Themen erhalten. Dabei spielt auch der Modus „Hilfe zur Selbsthilfe“ in einem Kreis von Experten mit ähnlichen Herausforderungen eine wichtige Rolle. Wir wollen branchenübergreifend unsere Ansichten und Ansätze  diskutieren und hinterfragen, um uns immer weiter zu verbessern.

Wo kann das CBA Lab von Schaeffler profitieren?

Schmider:Schaeffler befindet sich mitten in der Digitalen Transformation innerhalb der die IT-Transformation eine wichtige Rolle spielt. Wir betreiben Enterprise Architecture Management (EAM) im Sinne der CBA-Philosophie, die EAM ja bekanntlich als Richtungsgeber für die digitale Transformation auffasst. Unsere Erfahrungen im Aufbau und der Ausrichtung des EAM, sowie die technologische Entwicklungen, teilen wir gerne mit dem Netzwerk. Wir nehmen in einigen Bereichen eine Vorreiterrolle ein. So gewinnen sowohl die bisherigen Mitglieder im CBA als auch wir als Neumitglied.

Was treibt die IT bei Schaeffler am stärksten um und was treibt sie zurzeit am stärksten voran?

Schmider:Das ist natürlich die Digitale Transformation, innerhalb derer sich auch die IT noch nutzer- und kundenzentrierter ausrichtet, sowie proaktiv und schneller neue IT-Fähigkeiten für das Business nutzbar macht. KI ist dabei sicher eine Schlüsselfähigkeit, welche wir nicht nur in IT-Applikationen, Prozessen oder IT- Services, sondern auch unserem Schaeffler Produktportfolio noch konsequenter nutzen werden.

Was macht oder plant Schaeffler im Bereich Artifical Intelligence?

Schmider:

Im Kern verbindet Schaeffler langjähriges Know-how in der integrierten Entwicklung und Produktion mit den Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz. Unsere Systeme und Komponenten befinden sich in Maschinen genau dort, wo wichtigste Daten entstehen. Dabei spielt Sensortechnologie eine wichtige Rolle. KI lernt zum Beispiel Muster im Prozessverlauf zu identifizieren. Durch unsere Domänenexperten können wir daraus Zusammenhänge neu beurteilen und Vorhersagen treffen. Damit können wir unsere Prozesse effizienter gestalten und Ausfälle vermeiden. Weitere positive Anwendungsfälle haben sich z.B. im Sales-Forecasting und bei der Gestaltung digitaler Services rund um unsere Produkte ergeben.

Auch in Zukunft schauen wir uns das Thema in allen Facetten an: Wir wollen Weiterentwicklungen von Technologien früh verstehen und testen, um diese im Schaffler Kontext schneller anwenden zu können. Dabei wollen wir diese Fähigkeiten nicht nur für einzelne Use Cases nutzen, sondern auch skalierbar gestalten, um so einen größeren Impact zu erzielen. Das gilt für unsere Prozesse und die Produktion, Analysen und Simulationen genauso wie für unsere Produkte und Services. Ein positives Nutzererlebnis und ein hoher Kundenwert spielt dabei immer eine wichtige Rolle.

Im Bereich Conversational Interfaces verfolgen wir zum Beispiel das Ziel, eine intuitivere und natürlichere Interaktion zwischen Menschen, Maschinen und IT Systemen zu ermöglichen. Im Bereich Machine Learning Modelle können wir über die komplette Wertschöpfungskette hinweg sehr viel schneller Zusammenhänge und Muster erkennen und diese Fähigkeit trainieren als mit herkömmlichen Verfahren. Aber wir wollen KI natürlich auch verstärkt in unseren Produkten nutzen. Gerade in den Bereichen Automation, Visual- und Voice-Detection sowie übergreifend in Machine Learning inkl. Deep Learning sehen wir viel Dynamik.

  Was bedeutet das für die Architektur?

Schmider:Das ist natürlich eine riesige Herausforderung. Die digitale Transformation von Geschäftsmodellen, neue Produkte sowie ergänzende Services beeinflussen alle Unternehmen. KI ist dabei ein zusätzlicher Treiber des Wandels und der zur Verfügung stehenden technischen Fähigkeiten. Die Motivation, diese Technologien zu nutzen, ist in sehr vielen Unternehmen groß. Hier nimmt die Enterprise Architecture eine Schlüsselposition ein. Wir testen zusammen mit dem Business und den verschiedenen IT-Abteilungen neue Technologien und Möglichkeiten und verifizieren diese an konkreten Use Cases. Unser Ziel ist es dabei immer, Ergebnisse wiederverwertbar und skalierbar zu gestalten. Hierbei ist es essentiell, sowohl die betroffenen Prozesse als auch die benötigten Daten integrativ zu betrachten. Dabei gestalten wir Referenzarchitekturen und wiederverwendbare Artefakte, so dass Technologien auch skaliert werden können. Wir wollen keine starre Governance und Micro-Steuerung, sondern Leitplanken vorgeben, an welchen sich alle orientieren können, um die globale Zusammenarbeit zu vereinfachen und Geschwindigkeit und Skalierbarkeit zu fördern. Wir in der Enterprise Architecture arbeiten mit Hochdruck daran, neue Elemente schneller zu integrieren und zu skalieren und neue Expertise global nutzbar zu machen.

Keine zentrale Governance? Wie funktioniert das?

Schmider:Die Governance ist schon zentral. Aber wir stellen keine Stoppschilder mehr auf. Wir arbeiten eng mit den Strategieabteilungen der Fachbereiche sowie der Digitalisierung und dem IT-Innovationsmanagement zusammen, um daraus Zielarchitekturen und Leitplanken zu definieren, an denen wir die Veränderungen ausrichten und steuern. Neue Demands und Lösungswünsche werden dabei an diesen ausgerichtet. Dabei wird die Nutzung von bestehenden Fähigkeiten und Etablierung neuer, transparent und nachvollziehbar, was wiederum Wiederverwendbarkeit und Skalierbarkeit fördert. Auf diesem Ansatz können wir bestehende Fähigkeiten, Technologien und Lösungen viel föderaler und globaler nutzen und weiterentwickeln. Zur Steuerung und Kollaboration dient dabei unser EA Repository, welches in einem entsprechenden Framework eingebunden ist.

Wie unterscheidet sich diese Art der Governance von früheren?

Schmider:Das Micro-Management früherer Tage funktioniert in der dynamischen Welt nicht mehr. Deshalb reden wir auch nicht mehr von festen Vorgaben, sondern von Leitplanken, in denen sich die verschiedenen IT-Abteilungen frei bewegen können. Wir wollen nichts verhindern, sondern mit den Kollegen weltweit kollaborieren – schließlich findet überall Innovation statt. Es geht darum, diese Innovationsprozesse so gut zu orchestrieren, dass andere im Konzern schneller davon profitieren können. Das muss man sich als föderale, dezentrale Bewegung vorstellen. Das zentrale EA-Team ist im besten Fall also eine Drehscheibe, die erfolgreiche Innovationen schnell für alle Unternehmensteile nutzbar macht. Das erhöht die Innovations- und Adaptionsrate. Wir haben ein EA-Framework entwickelt, das diesen kollaborativen Ansatz – also teilhaben, anstatt nur teilnehmen – in den Mittelpunkt stellt.

Erstreckt sich die Kollaboration ausschließlich auf die IT?

Schmider:Nein. Die Enterprise Architektur ist natürlich eng verzahnt mit der Datenarchitektur, den Prozessen und der Business-Strategie. Die EA handelt dabei sehr proaktiv. Wir setzen vor dem Demand an: Uns geht es nicht darum, Anforderungen zu überprüfen. Wir setzen da an, wo sie formuliert werden, damit schon unsere Anforderungen besser werden und in der Konsequenz auch die Systeme und Services. Damit rückt die EA näher ans Business heran, weil wir helfen, Dinge schneller umzusetzen.

Heißt das, die Enterprise Architecture ist bereits dabei, bevor Entwicklungen tatsächlich starten?

Schmider:Idealerweise ja oder wir können unseren Input in einem sehr frühen Stadium einbringen.

Klingt ganz einfach?

Schmider:Man muss die Dinge ja auch nicht unnötig verkomplizieren. Aber wir müssen natürlich auch liefern und einen „Technologie Push“ initiieren, in welchem wir die Potentiale der neuen IT mit unseren ersten Erfahrungen und unserem Verständnis ins Business übersetzen und den Dialog intensivieren. Das bedeutet, dass wir früh einbezogen werden oder andere früh integrieren, um gemeinsam das Optimum zu entwickeln. Es ist eine Frage der Balance. Manche Dinge kann man auch mal laufen lassen. Man muss nicht alles kontrollieren. In diesen dynamischen Zeiten ist Fokussierung gefragt: In welche Dinge wollen wir involviert sein? Um diese Frage zu beantworten, hilft es, sich auf die Entwicklungen mit großem Impact zu konzentrieren.

Seit wann pflegt Schaeffler diese neue Art des Enterprise Architekturmanagements?

Schmider:Im Januar 2018 haben wir das etabliert. Ich selbst bin seit Januar im Unternehmen und habe die Enterprise Architecture hier aufgebaut. Es gab zwar vorher erste Ansätze für EAM, aber erst mit der dedizierten Etablierung der Funktion wurde dies konsequent angegangen und  betrieben. Zurzeit sind wir 10 Enterprise-Architekten, die nach unseren IT-Domänen ausgerichtet sind. Unsere Architekten haben jeweils einen Schwerpunkt in einer funktionalen Domäne wie HR oder Finanz, Vertrieb usw. Als zweiten Schwerpunkt unterstützen sie die Demand-Organisation und als dritte Aufgabe kümmern sie sich um neue Lösungen und Innovationen und deren architektonische Integration und Skalierung.

Sie legen großen Wert auf Kollaboration. Wie stellen sie sicher, dass die Zusammenarbeit mit anderen Bereichen funktioniert?

Schmider:In dem wir den Mehrwert einer Zusammenarbeit mit uns herausstellen. Das funktioniert am besten, wenn wir mit unserer Expertise helfen, die Vorhaben schneller zu realisieren. Zum Beispiel, in dem man Ideen schnell in Pilotprojekten realisiert, um ihren Wert darzustellen und damit ihre Vorteile kommunizieren kann. Mein Chef leitet die strategische IT und berichtet an den Technologie-Vorstand, den CTO. Das garantiert kurze Wege und macht es uns leichter, Vorhaben mit großem Impact gut zu positionieren und zu priorisieren.

Bitte vervollständigen Sie den Satz: Das wichtigste an Enterprise Architecture ist heute...

Schmider:Das wichtigste an Enterprise Architecture ist heute die Übersetzung technischer Möglichkeiten in Business Value. Wir müssen die Brücke schlagen zwischen Technologie, IT, Prozessen, Daten und deren Value-Add für das Business. Als Business Enabler müssen wir diese Brücken außerdem schnell, agil und nachhaltig aufbauen. Wir sind Navigator und Lotse in einer schnelllebigen Zeit.

Gibt es zurzeit ein wichtigstes Projekt für die Architektur?

Schmider: Ehrlich gesagt sind es mehrere: Wir entwickeln gerade die neue IT Ziel-Architektur für unsere Produktionswerke. Sie trägt sowohl dem Wandel unseres Produktportfolios, der Fertigung komplexer physischer, mechatronischer und mehr und mehr intelligenter Produkte als auch unseren globalen Footprint in der gesamten Supply Chain Rechnung. Außerdem erneuern wir zurzeit unseren kompletten SAP Prozess Backbone, über welchen 97 Prozent unserer kompletten Geschäftsabläufe abgewickelt werden. Neben der Optimierung der Prozesse und Abläufe geht es aber auch darum, die Server-Architektur flexibler und modularer aufzubauen und neue digitale Fähigkeiten von vornherein zu integrieren. Der Übergang von alt zu neu wird dabei über mehrere Jahre hinweggehen, weshalb die fachliche und technische Koexistenz und Integration von alt und neu eine weitere spannende Herausforderung mit sich bringt.

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Joachim Schmider, Vice President IT Architecture, Schaeffler AG 
Foto: Schaeffler AG

Wir stellen keine Stoppschilder mehr auf.